Drahtplastiken von Stefanie Welk
Am Rande des Mannheimer Hafens in der Güterhallenstraße treffen wir uns mit Stefanie Welk in ihrem Atelier. Eigentlich sind es Atelierräume, zum einen die Werkstatt, wo sie an ihren Plastiken arbeitet und zum anderen eine Art Showroom, wo fertige Arbeiten präsentiert werden können. Die Figuren von Stefanie Welk sind aus Draht gefertigt, genauer gesagt aus weichgeglühtem Draht in einer Materialstärke bis 5mm. Somit kann sie den Draht manuell ohne maschinelle Hilfen biegen. Die kleineren Figuren werden dann geknotet, die größeren sind an den Berührungspunkten des Drahtgeflechts geschweisst.
Künstlerisch tätig ist Welk bereits seit 1992, im selben Jahr beginnt sie ein Studium der Psychologie, das sie dann 1999 abschliesst. Direkt im Anschluß entscheidet sie sich als freischaffende bildende Künstlerin tätig zu sein. Im Jahr 2001 folgt das Studium von „Psychology, Cosmology and Consciousness“ in San Francisco und anschließend Lehraufträge, Workshops sowie Auslandsreisen bzw. –aufenthalte. Ihre Vita kennzeichnet also von Anfang an eine global orientierte Vielschichtigkeit, ein stetiges Verändern und eine spirituelle, kosmologische Ausrichtung bzw. Herangehensweise.
Stefanie Welks Kunstverständnis schöpft aus dem Dreiklang „Bewegung – Materie – Energie“. 1919 schuf Rudolf Belling seine wegweisende Plastik „Dreiklang“, eine expressionistische Figurengruppe in der der leere, negative Raum inmitten dreier stilisierter Figuren von gleichrangiger Bedeutung ist, da er im Verbund mit den sich berührenden drei Tänzerinnen die Bewegungsvorstellung einer Drehung vermittelt. Das Motiv des Tanzens, die entmaterialisierende Bewegungsvorstellung und das Spiel mit dem Raum sind auch zentrale Punkte in Welks Schaffen. Ihr künstlerischer Orientierungspunkt ist der englische Plastiker Antony Gormley (* 1950), der sich seit den späten 60er Jahren mit der Beziehung zwischen menschlichem Körper und dem ihn umgebenden Raum bzw. dem ihn umgebenden Kosmos befasst. Aus seinem Kunstverständnis heraus findet Stefanie Welk Anknüpfungspunkte für ihre eigene Arbeit.
Die Drahtplastiken Welks werden von der Körpermitte, vom Körperkern aus aufgebaut. Hier liegt der Schwerpunkt der menschlichen Figur, das Zentrum aller Bewegungsimpulse. Auf ihrer Homepage sieht man ein Video, wo der Entstehungsprozess im Zeitraffer die gestalterische Arbeit vor Augen führt. Wie aus dem Nichts wächst die Figur in Windeseile und scheint dann auch schon am Ende des Schaffensprozesses dynamisch den Ort des Entstehens verlassen zu können. Bewegung – Materie – Energie, die drei Säulen der Ausdruckswelt von Stefanie Welk sind in allen Figuren präsent und prägen das Erscheinungsbild und den dynamischen Charakter der Plastiken.
„Mein Material Draht erlaubt es mir, hinter der Materie liegende Räume, Schwingungen, Felder oder Bewegung sichtbar zu machen. Einerseits verschwindet so das vordergründig Schwere, Feste und Abgegrenzte und eine energetische Realität zeigt sich, indem Körpergrenzen sich auflösen und pulsieren.“, Stefanie Welk
Bezeichnend für Welks Arbeiten ist die offen angelegte Komposition, die Figuren streben nach oben oder vorne, ihnen ist ein raumgreifender Bewegungsimpuls zu eigen, eine energiegeladene Bewegung. Das Geflecht des Drahtes gibt Durchblicke frei, es ist eine Öffnung der Figuren, ein Wechselspiel aus Positiv- und Negativräumen. Die Drahtlinien umspielen den Umriss eher als ihn zu erfassen, es sind letztlich bewegungsbetonende Linien. Dadurch wirken die Figuren wie Zeichnungen, die in die Dreidimensionalität überführt wurden, ohne aber ihre Leichtigkeit und ihr spielerisches Schweben zu verlieren.
Dabei bedient sich Stefanie Welk einer expressiven Formensprache bei der sinnlichen Erfassung von Bewegungszuständen, d.h. wir nehmen nicht nur die Position der Figur im Raum wahr, sondern wir verbinden damit eine energetisch aufgeladene Ausdruckform bzw. einen energetisch motivierten Ausdruckswillen. Das Liniengerüst des Drahtes ist keine pure Nachzeichnung des Umrisses, es führt vielmehr zu einer Auflösung der Form. Somit werden die Plastiken dynamisiert, sie vermitteln keine eingefrorene Bewegung, es ist eher eine dynamisch-energetische Momentaufnahme die einen Bewegungsfluss suggeriert.
In Welks Motivwelt werden unterschiedliche Seinszustände abgebildet, neben dem Laufen und Tanzen sind dies noch Aufbruch, Entwicklung, nach vorne Streben, Schweben, Verharren oder Momente einer gespannten, energiegeladenen Bereitschaftshaltung. Das Motiv des Tanzes oder des Laufens ist in der Plastik der neueren Kunstgeschichte ein altes, man denke an die Tänzerinnen von Edgar Degas, Auguste Rodins Schreitenden Mann, Georg Kolbes expressive Tänzerin von 1912 und natürlich Rudolf Bellings Dreiklang, der am Übergangspunkt zur ungegenständlichen Plastik steht. Motivgeschichtlich reicht der Tanz und das Laufen also Jahrhunderte zurück und sind auch immer als Synonym für Bewegung und Veränderung zu verstehen.
Einen ganz neuen und anderen Ansatz verfolgt Welk mit dem quaderförmigen Gerüst, das sie um die Figuren herum baut oder diese darauf setzt. Es entsteht ein Gegensatz zwischen tektonischem Bau der Figuren und den rechten Winkeln des Gerüstes. Im Inneren ist freies Schweben angelegt, es entsteht dadurch ein Raum im Raum. Die Figuren schweben, fallen oder sitzen, sie sind eher passiv einer an ihnen wirkenden Kraft ausgeliefert. Fast träumerisch in ihrem Tun scheint der Bewegungsimpuls zurückgenommen, aber er kann sich auch – wie bei der torsierten Figur „Exploding into being“ – plötzlich und sehr heftig Bahn brechen. Das Abgrenzen zum Umgebungsraum mittels eines quaderförmigen Aufbaus kreiert eine Art Mikrokosmos, in dem die Naturgesetze den künstlerischen Vorstellungen Stefanie Welks zu folgen scheinen.
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Atelier Stefanie Welk, Güterhallenstr. 3, 68159 Mannheim