„Moving Sculptures“
Bewegung – Energie – Veränderung
Das große Werkstattatelier von Jürgen Heinz ist im Ortskern von Lorsch in einer alten Reperaturwerkstatt für Autos untergebracht. Die Werkstatträume wurden von seinem Vater übernommen und als Schlosserei eingerichtet. Bevor Heinz dort wieder einzog, standen die Räume einige Jahre leer, inzwischen nutzt er diese seit 20 Jahren als Atelier. An die Räume sind viele Kindheitserinnerungen verknüpft, aber da im Leben und Schaffen von Jürgen Heinz Bewegung und Veränderung große Dominanten sind, sind die Räumlichkeiten inzwischen viel mehr lebendiges Atelier denn rückwärtsgewandte Erinnerung.
Der Maschinenpark, den Jürgen Heinz zur Realisierung seiner „Moving Sculptures“ braucht, ist beeindruckend: ein großer Schmiedeofen, ein maschineller Schmiedehammer, elektrische Sägen und Bohrmaschinen, Materiallager, Werkbänke, Lastenkräne und viel Industrieromantik bestimmen die Atmosphäre des Raums. Das Tageslicht fällt durch ein großes Band an Oberlichtern ein, die Fläche der Seitenfenster hat sich die Natur des angrenzenden Gartens fast schon wieder zurückgeholt. Die Pflanzen wuchern bis in das Atelier hinein und überdecken weit mehr als die Hälfte der Fensterfläche.
Jürgen Heinz kam vom Handwerk zur Kunst, sein Umgang mit dem Material ist gekonnt und von handwerklich hoher, meisterlicher Qualität. Er absolvierte ein Studium als Gestalter an der Werkakademie Kassel sowie ein Ausbildung zum Metallgestaltermeister, beide Ausbildungen bilden die Säulen, auf dem sein Schaffen ruht. Er ist im positiven Sinn ein Getriebener, ein Rastloser mit ausgeprägtem Schaffensdrang oder besser gesagt Bewegungsdrang, der seine Ideen zeitnah und schnell umsetzen möchte.
„Wenn die Idee alt wird, ist es auch schon fast zu spät.“ Jürgen Heinz
Schnelle Umsetzung bedeutet, die Idee wird zeichnerisch festgehalten, Varianten werden dabei durchgespielt, Lösungsansätze ausprobiert, danach wird die Skizze in Metall übertragen. Das beinhaltet immer auch hartes körperliches Arbeiten, die Schwere des Materials bzw. des Kunstwerks will gehandhabt werden. Die größeren Arbeiten entstehen aus einzelnen Teilen, die dann später zusammengefügt werden. Dabei arbeitet Jürgen Heinz sehr genau, die Oberflächen werden wieder vereinheitlicht und man entdeckt die Bearbeitungsspuren – wie etwa die Schweißnähte – erst bei genauerem Hinsehen.
Bei den Werken von Jürgen Heinz geht es immer um Schwere und Leichtigkeit, Lasten und Schweben, Stillstand und Bewegung. Es ist ein ständiges Ausloten des tektonisch Machbaren, seine Erfahrung und sein Wissen helfen ihm bei diesem Ausloten von Stabilitäts- und Materialgrenzen. Während der Betrachter es kaum für möglich hält, dass das Gleichgewicht durch dünne Stäbe gehalten bzw. getragen wird, legt Jürgen Heinz nochmals nach und setzt seine Arbeiten auch noch Bewegungsimpulsen aus.
Die Formvereinfachung seiner Plastiken, die Reduzierung auf einfache und klare Einzelformen, auf harte Kanten und Linien, lässt vieles schwerer wirken als es eigentlich ist. Jürgen Heinz erreicht dies durch seinen meisterhaften Umgang mit den Oberflächen. Man sieht diesen kaum an, dass sie hohen Temperaturen und stärksten Verformungskräften ausgesetzt waren…außer er möchte, dass man es sieht. Diese Vereinheitlichung bzw. das Blockhafte der Plastiken vermitteln dem Betrachter Ruhe und Schwere, aber vieles ist eben nicht vollplastisch ausgeführt und kann somit problemlos „mit der Bewegung umgehen“, die Jürgen Heinz ihm auferlegt. Die festen Körpergrenzen des plastischen Körpers werden durch die Bewegung aufgelöst, es kommt zu einer Verlebendigung seiner „Moving Sculptures“, sie schwingen sanft und ruhig. Der kontemplativ wirkende Bewegungsimpuls schafft eine Grenzsituation, die der Betrachter ungläubig staunend erlebt.
In einigen seiner Werke kann der Betrachter oder der Eigentümer die Anordnung einzelner Teile variieren, Jürgen Heinz nennt dies modulares Arbeiten, was ganz bewusst von ihm so angelegt ist. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass sich Bezüge innerhalb mehrteiliger Werke immer wieder verändern lassen. Die vereinzelt mitschwingenden Klangkomponenten in den Arbeiten, wenn einzelne Elemente zufällig aneinanderstoßen, sind von Heinz so nicht geplant. Er betont ausdrücklich keine Klangjunstwerke zu schaffen, die „Nebengeräusche“ akzeptiert er aber als zusätzliche Dimension der Rezeption. Bewegung und Veränderung versteht Jürgen Heinz als konstitutionelle Teile seines Schaffens, Stillstand bedeutet Stagnation und ist ihm letztlich fremd.
Plastik unterscheidet sich von zweidimensionaler Kunst vor allem dadurch, dass sie im realen Erlebnisraum des Betrachters steht. Sie ist real erlebbar und sie ist fass- bzw. greifbar. Das haptische Begreifen ist – im Gegensatz zum taktilen – eine aktive Handlung. Das Bedürfnis die Plastiken zu berühren und damit eben auch in Bewegung zu versetzen, ist bei Heinz vorherbestimmt. Dabei entsteht ein eigenwilliges Spiel aus Nähe und Ferne. Zum Berühren und Anstoßen der „Moving Sculptures“ muss man sich nähern, danach zieht es einen aber wieder von der Plastik weg, um sie in ihrem Bewegungsimpuls ungestört erleben zu können. Somit schafft es Heinz nicht nur seine Plastiken in Bewegung zu versetzen, sondern eben auch den Betrachter.
Die Ansichtigkeit der „Moving Sculptures“ ist ebenfalls nicht so eindeutig zu klären. Zwar gibt es Hauptansichten, aber die formauflösende Bewegung und das Umschreiten, Erkunden bzw. wieder Abstand nehmen des Betrachters führen zwangsläufig zu Nebenansichten, die für das Erleben der Werke von zentraler Bedeutung sind. Jürgen Heinz Werke sind bewegte und bewegende Zeugen der Veränderung. Er schafft es immer wieder mittels zeichenhafter Körpersprache zwischen den Polen des geometrisch-konstruktiven und menschlichen Figurenbildes zu wechseln. Auch hier zeigt sich Jürgen Heinz als Grenzgänger, der sich nicht festlegen möchte, sondern der Formen und Grenzen in Bewegung versetzt.
Atelier Jürgen Heinz, Nibelungenstr. 64, 64653 Lorsch