Henri Laurens: Wellentöchter, Kunsthalle Mannheim

Formvereinfachung und Körperfülle

bis 16.6.2019

Das Frankreich-Jahr der Kunsthalle Mannheim wird eröffnet mit der Schau des französischen Plastikers Henri Laurens (1885-1954). Werke aus allen Schaffensphasen des Zeitgenossen von Georges Braque und Pablo Picasso zeigen Henri Laurens als feinsinnigen, modernen Plastiker, der ein eigenständiges Œuvre erschaffen hat. Die 60 platischen Werke werden durch Zeichnungen, Druckgrafiken und Collagen ergänzt und runden das Bild des bedeutenden, französischen Bildhauers der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab.

Blick in die Ausstellung

Im ersten Raum, der durch seine schwarze Wandfarbe einen Kontrast zu den hellen, expressiven Frühwerken darstellt, erwartet den Besucher ein Einblick in die moderne französische Kunst des Kubismus. Was Braque und Picasso in der Malerei leisteten, setzten in der Plastik vor allem Henri Laurens und Jacques Lipchitz um. Die Formzerlegung in einzelne kubische Elemente, die zu einer neuen Figur zusammengesetzt wurden, übertrug Laurens in den Raum. Hierfür eigneten sich die Gestaltungsprinzipien des Kubismus in geradzu paradigmatischer Weise, das Aufeinanderprallen und die Wechselwirkung von Kanten, Linien und gerundeten Formen und geometrischen Körpern. Vieles wirkt bei Laurens eher wie ein rundplastisch ausgeführtes Relief oder wie eine geschichtete, konstruierte Anhäufung von dreidimensionalen Einzelformen. Das Zurückführen, das Zerlegen auf eine grundlegende Ausgangsform und der Wiederaufbau der Figur unter der Prämisse der Formvereinfachung zeigt sich bei den Werken von Henri Laurens in Reinform. Darin äußert sich die Modernität und die Qualität seiner platischen Arbeiten.

Der zweite Raum ist eine sehr freie Nachempfindung von Laurens Atelier. Großgezogene Atelieraufnahmen an den Wänden, ein riesiger Tisch mit Plastiken in der Mitte und einige Zitate an den Wänden zeugen von der Arbeitsweise des Franzosen. Alles hatte seinen Platz, alles war aufgeräumt und in vorbildlicher, fast klinischer Reinheit und Strenge. Die Wildheit, die kleinteilige Fülle und das schöpferische Chaos, wie es sich in anderen Ateliers fand und findet, hatte bei Laurens keinen Platz. Genauso strukturiert wie sein Tagesablauf waren auch sein Atelier und sein Arbeitsethos. Die Fotografie von Willy Maywald, die Laurens in seinem Atelier zeigt, gibt Einblick in sein Innerstes: sein Atelier und seine Beziehung zu seinem Werk. Versonnen, fast verstohlen und mit intimer Geste streicht er der Figur über den Rücken, so als wolle er sie durch seine Berührung zum Leben erwecken.

„Ich strebe nach der Reife der Formen. Ich möchte sie so füllig machen, dass man nichts mehr hinzufügen kann.“ Henri Laurens

Im dritten und letzten, dem roten Raum finden sich die Namensgeber der Ausstellung: die Wellentöchter. Die Anhäufung und Anordnung der Plastiken scheint wie eine Woge durch den Raum zu schwappen, in einem sanften, rhythmischen auf und nieder binden sich die einzelnen Werke dieser Bewegung ein und folgen dem immer wiederkehrenden Ablauf der Wellenbewegung. Die Formensprache der plastischen Arbeiten hat sich in den 30er Jahren geändert. Sie wirken fülliger und kräftiger und sie sind zudem allegorisch überhöht. Die weibliche Figur steht etwa für eine „Woge“ oder den „Herbst“. Das ozeanische Fließen, das Wogen und das Schäumen äußert sich in gerundeteren, dralleren Formen, es entsteht ein eigenwilliges Spiel aus Bewegung und Ruhe. Die Durchblicke, Hinterschneidungen und Negativräume  sind bei Laurens von gleichrangiger Bedeutung wie die Fülle der Formen. „In einer Skulptur hat die Leere ebenso große Bedeutung wie die Fülle.“, lautet eines der Zitate von Henri Laurens. Ein Vergleich mit einer Plastik von Henry Moore, die die Kuratoren in die Ausstellung integriert haben, zeigt bei vielen Gemeinsamkeiten eben auch die Unterschiede. Was bei Moore organischer, fließender und mit vereinheitlichenden Übergängen gestaltet ist, wirkt bei Henri Laurens einfacher, fülliger und von kraftstrotzender Robustheit und Direktheit.

Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim

Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr (jeden 1. Mittwoch im Monat 10-22 Uhr)

www.kuma.art

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