Mannheimer Kunstpreis der Heinrich-Vetter-Stiftung 2020
Joscha Steffens, Hannah Schemel
bis 30.8.2020
Die achte Ausgabe des Mannheimer Kunstpreises der Heinrich-Vetter-Stiftung war im Jahr 2020 explizit an Foto- und Videokünstler gerichtet. Der Hauptpreis ging an den Foto- und Videokünstler Joscha Steffens und der Förderpreis an die junge Fotografin Hannah Schemel. Die Ausstellung im Port25-Raum für Gegenwartskunst im Mannheimer Jungbusch zeigt Arbeiten der beiden Preisträger und führt den Besucher in zwei völlig unterschiedliche Welten.
Der Hauptpreisträger Joscha Steffens taucht bevorzugt in Parallelwelten ab. Dabei dokumentiert er das Erlebte und Gesehene mit der Kamera in Fotografien und Videos. In seiner Serie „Teen Spirit Island“ porträtiert er Profispieler des Computerspiels „League of Legends“, die in ihrer Konzentration auf das Spiel gebannt abwesend erscheinen. Die Spieler sind alle zwischen 17 und 23 Jahre alt, danach ist es eigentlich unmöglich auf dem Top-Niveau weiterhin mitzuhalten. Es ist dieselbe konzentriert starrende, eingefrorene Mimik, die bei fast allen Spielern zu beobachten ist. Das Video „Dream / Hack“ zeigt in einer Loop-Sequenz nur die Hand der Spieler an der Computermaus mit ihren schnellen Klicks und den eingestreuten Bewegungen der muskulär bedingten Entspannung und des Spannungsabbaus. In rotes und blaues Licht getaucht, was eine Teamzuordnung über die Farbe ersichtlich macht, wird die Hand zum sichtbaren Werkzeug des Spielens und verdeutlicht die dauerhafte körperliche und mentale Beanspruchung.
In der Rauminstallation „UCHRONIA“ dokumentiert ein Video eine estnische Wehrsportgruppe, die sich privat in Wäldern trifft und in Kriegsspielszenarien die Vergangenheit glorifiziert. In Vitrinen liegen Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg des Großonkels von Joscha Steffens aus, der eine SS-Vergangenheit hat. Privates aus der Vergangenheit verschmilzt hier mit selbst Erlebtem, beides fußt auf demselben geistigen Nährboden, den Steffens aus neutraler Position sichtbar macht. Die nüchtern berichtende Vielschichtigkeit und das unzeitgemäße Gegenwartsspektakel äußern sich als rückwärtsgewandte Geschichtsklitterung, die keinerlei Stellungsnahme von Seiten Steffens braucht. Alles zeigt und entlarvt sich von selbst.
Die Basis der Fotografien von Hannah Schemel ist wirkliche und echte Handwerkskunst. Das beginnt mit der Planung des Ortes für die nächsten Aufnahmen, der Vorausschau der Wetterbedingungen und schließt die logistische Planung mit ein. Schemels Ausrüstung besteht aus einer Großformatkamera mit Zubehör, was alles zusammen etwa 30 Kilogramm wiegt. Die Kamera muss sorgsam aufgebaut, positioniert, ausgerichtet und für die Aufnahme vorbereitet sein. Das maximale Tagespensum sind 4 Fotos, mehr ist an einem Tag nicht zu schaffen. Die Serienaufnahmen von guten Digitalkameras schaffen mindestens das Doppelte innerhalb von einer Sekunde, aber genau das entspricht nicht dem Verständnis von Schemel beim Entstehen ihrer Arbeiten. Die Grundbedingung ihres Schaffens ist die Entschleunigung, das bewusste sich Zeit nehmen und Zeit lassen, um die Komposition zu planen, den richtigen Moment für die Aufnahme abzuwarten, da die atmosphärische Stimmung eben im Bild erkennbar sein soll. Erst Tage später wird sie dann das Ergebnis sehen und es ist für sie jedes Mal wieder von neuem aufregend und spannend, was aus ihrer Bildidee geworden ist. Geprägt ist dieses Verständnis aus einer Hinwendung zur japanischen Kultur des Wabi-Sabi, einem Konzept der Wahrnehmung von Schönheit.
Alles an den Fotografien ist geplant, sie entstehen mit Hilfe einer Großformatkamera im Format von 4×5 Inch und die Technik ist dieselbe wie diejenige aus dem Jahr 1870. Im Sucher der Kamera erscheint das Bild auf dem Kopf, ausgelöst wird nach langem Warten, wenn das Licht, der Nebel, die Wolken oder die Wetterstimmung perfekt sind. Das Foto-Papier, auf das die Planfilmnegative dann belichtet werden, ist nach den Vorstellungen von Schemel von einem Papiermacher handgeschöpft. Es ist fest und schwer, im Charakter völlig anders als das übliche Fotopapier. Darauf streicht sie eine Platin-Palladium-Lösung, die lichtempfindlich ist und belichtet auf dieses vorbereitete Papier die Aufnahme mehrere Minuten lang. Dann kommt das Bild in ein Fixierbad, wird über Tage getrocknet und dann folgt noch die härteste aller Prüfungen: hält die Aufnahme dem Blick, den Erwartungen und dem Urteil von Hannah Schemel stand. Veredelt wird die Fotografie durch den Rahmen, den sie nach ihren Vorgaben bauen lässt und das Bild darin schwebend aufhängt. Es sind Unikate, Schemel zerschneidet die Negative und hängt die größere Hälfte hinten an den Rahmen. Weitere Abzüge sind somit nicht mehr möglich.
Das Ergebnis dieser zeitaufwendigen Bemühungen ist besonders. Das Motiv scheint aus den Tiefen des Papiers aufzutauchen und die reduzierte Farbigkeit, die fast einfarbigen Tonabstufungen und sanften Kontraste sind bildhafte Spuren eines inszenierten Momentes. Der Nebel zwischen den Bäumen, die Wellen am Strand, die Zweige eines Baumes sind eher Zeichnung denn Fotografie. Das Büttenpapier scheint das Dargestellte in ein anderes Medium zu übertragen. Im ersten Augenblick sieht es wie gezeichnet oder aquarelliert aus, es ist aber eine nach klassischen Prinzipien belichtete Fotografie. Das Warten hat sich gelohnt, Hannah Schemel bannt einen Moment auf Planfilm und dieser vergängliche Moment wird zu einem stimmungsvollen Schauspiel.
Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstr. 25-27, 68159 Mannheim
Mi-So 11-18 Uhr, Do bis 19.30 Uhr, Eintritt frei