Umbruch
bis 18.10.2020
UMBRUCH ist die erste Ausstellung von Johan Holten, dem neuen Direktor der Kunsthalle Mannheim. Die letzten Ausstellungen waren noch von seiner Vorgängerin auf den Weg gebracht worden, nun kann Johan Holten seine eigenen Vorstellungen, Positionen und Akzentsetzungen im Ausstellungsprogramm entwickeln und verwirklichen. UMBRUCH ist dabei der erste Schritt, Holten greift die Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte des Hauses auf und bringt diese mit zeittypischen gesellschaftlichen Themen in Bezug. In der aktuellen Pandemie-Krise, die alle Bereiche der Gesellschaft fest im Griff hat, ist die von Holten kuratierte Schau ein Zeichen für den Wandel und das Umdenken und damit auch für die neuen Möglichkeiten, die aus der Krise erwachsen. In drei Räumen greift die Ausstellung unterschiedliche Felder in der Weise auf, dass auch die Besucher die Abfolge der Räume als Umbruch erleben. Nichts geht fließend ineinander über, sondern die Bruchlinien sind ganz bewusst inhaltlich und thematisch fühlbar. Visuell unterstützt wird der Umbruch zusätzlich durch die Ausstellungsarchitektur, die mit Gerüstbauten, Rampen und Holzwänden den programmatischen Titel der Schau verstärkt.
Den Beginn macht ein bahnbrechendes Projekt der Kunsthalle Mannheim aus dem Jahr 1925. Im ersten Raum des UMBRUCHS werden drei Künstlerinnen der historischen Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ in den Fokus gerückt. Anita Rée, Hanna Nagel und Jeanne Mammen waren starke Künstlerpersönlichkeiten, die aber in der männlich geprägten und beherrschten Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur am Rande des Spektrums wahrgenommen wurden. Die hauptsächlich in Karlsruhe tätige Künstlerin Hanna Nagel sorgt für einen regionalen Bezug, Anita Rée lebte und arbeitete vornehmlich in Hamburg, während Jeanne Mammen im mondänen Berliner Kunstbetrieb um Anerkennung, Ausstellungen und Auskommen malen musste. Die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken aller drei Malerinnen sind wichtige Zeugnisse für den Geschlechterkampf, eine Neuausrichtung auf einer feministischeren Grundlage der Gleichberechtigung und einem Kampf für vernachlässigte und nicht existente Frauenrechte. Die Auswahl der drei Künstlerinnen ist keine Wiederentdeckung, sondern ein Herausstellen von relevanten Motiven und Positionen.
Die Videoarbeiten im zweiten Teil der Ausstellung befassen sich mit dem gesellschaftlichen Umbruch. Sowohl das Video von Clément Cogitore als auch die Arbeit von Masar Sohail thematisieren die gesellschaftlichen Perspektiven von Jugendlichen. Das verbindende Element des Tanzes, das über alle sozialen, ethnischen und kulturellen Grenzen hinweg trägt, nutzt das Projekt von Cogitore. In seiner Videoarbeit sieht man Street-Dancer, die zu den Klängen einer 1735 komponierten Barock-Oper auf der Bühne der Pariser Oper de la Bastille tanzen. Zeitlich und gesellschaftlich übergreifend wirken hier Tänzer, Musik und Institutionen zusammen und aus den einzelnen Teilen entsteht ein wirkmächtiges Ganzes. Bei Sohails Video „The Republic of T.M.“ dominiert zunächst der Erzählstil und die Pose des Gangsterfilms. Der Titel der Arbeit bezieht sich auf den Film Scarface, die Abkürzung T.M. steht für die von Al Pacino gespielte Hauptfigur Tony Montana. So hoch die Messlatte damit auch liegt, der Vergleich ist nur im Titel angelegt und dient einem eher dramaturgischen Kniff. Der Habitus vom machtgierigen und gewaltbereiten Gangsterboss dominiert zunächst und es scheint somit auf einen dramatischen Höhepunkt zuzulaufen, bevor das Video dann aber doch noch eine unerwartete Wendung nimmt.
Den letzten Raum füllen drei Arbeiten von zeitgenössischen Bildhauerinnen ganz unterschiedlicher Herkunft. Alle drei Bildhauerinnen haben Werke explizit für die Kunsthalle geschaffen, die auch alle angekauft werden sollen. Nevin Aldag hat einen nach oben offenen Raumkubus geschaffen, in dessen Ecken Klanginstrumente installiert sind. Der Boden ihres „ResonanzRaums“ ist mit einem mosaikartigen bunten Sound-Teppich ausgelegt, der aus verschiedenen Epochen und Stilen stammt. Im Verlauf der Ausstellung werden hier mehrere kleine Konzerte stattfinden und den ResonanzRaum zum Hörerlebnis verwandeln, wobei die türkisch-deutschen Einflüsse und Erfahrungen von Aldag mit einfließen und sich mit den musikalischen Traditionen und aktuellen Klangkompositionen vermischen. Die amerikanische Künstlerin Kaari Upson hängt farbige Abgüsse von Baumstämmen von der Decke. „Mother`s Leg“ ist der Titel dieser Rauminstallation. Sie hat einen starken biographischen Bezug, wie so oft in Upsons Werk und bezieht sich auf das zwiespältige Verhältnis zu ihrer Mutter. Die Baumstämme mutieren durch das Hinzufügen von Knieabdrücken zu stämmigen Beinen, die als Torso – mittels Farbe und Licht akzentuiert – frei im Raum hängen. Den Besuchern ist es erlaubt um die Torsen herumzugehen oder zwischen ihnen hindurchzulaufen oder sich sogar dahinter zu verstecken: gleich einer Kindheitserfahrung, die nicht nur Upson gemacht hat. Die dritte Position bildet die Chinesin Hu Xiaoyuan, die in Peking lebt und arbeitet. Ihre vielteilige Arbeit „Spheres of Doubt II“ hat installativen Charakter und setzt sich aus mehreren Inseln mit teils kleinteiligen Stücken zusammen. Alles hat seinen Platz und steht miteinander in Wechselwirkung. Der Schaffensprozess ist sehr aufwändig und wiederholungsgetrieben, die Künstlerin bespannt die einzelnen Gegenstände wie auch die Ablageflächen mit Seide, bemalt diese und nimmt die Seide dann wieder ab. Anschließend beginnt dieser Arbeitsprozess von vorne. Es entstehen zarte Muster und es entspinnt sich ein Rätselspiel um Realität und Fiktion mit künstlerischen Mitteln. Alle drei Arbeiten sind tatsächlich ausstellungsbezogen vor Ort entstanden und sollen dauerhaft der Kunsthalle erhalten bleiben.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim
Di-So 10-18 Uhr