bis 31.10.2020
Aus tiefstem Schwarz, aus dunkelstem Grund drängt alles nach vorne. Ist es ein Auftauchen, ein Verharren oder doch ein Versinken? Oder ist es eine Art ephemeres Zwischenstadium, das den Objekten von Andrea Esswein die vorderste Bildfläche als Projektionsfläche übereignet. Zwei Wochen lang lässt sich dieses Naturschauspiel in der Mannheimer Galerie Theuer + Scherr in den Arkaden am Wasserturm bewundern, dem eigenwilligen Spiel inszenierter Realität nachspüren. Der Ausstellungstitel „Nigella & Ranunculus“ verweist dabei auf rein pflanzlichen Ursprung, Schwarzkümmel und Hahnenfuß, die beiden Gewächse stehen als Protagonisten im Vordergrund und füllen diesen auch als Hauptdarsteller farbenprächtig aus.
Im Werk von Andrea Esswein finden sich verschiedene Motivgruppen, ihre Homepage fächert ihr Schaffen in Kopigraphien von Papierknäueln, Brautkleidern, Blumen und Pflanzen, Porträt- und Tanzdarstellungen auf. Die Wahl für diese Ausstellung ist ganz bewusst auf Blumen- und Pflanzenmotive gefallen, eben auf Nigella und Ranunculus. Es ist eine Reaktion auf die Einschränkungen und Restriktionen des Jahres 2020, ein bewusster Gegenpol gegenüber den Herausforderungen des Lockdowns und dem Stillstand des Kultur- und Ausstellungsbetriebs. Es wächst und gedeiht wieder etwas, es scheint wieder etwas aus dem Dunkel und der Einsamkeit hervor. Und da sind Essweins Kopigraphien wie dafür gemacht, das Auf- und Hervorscheinen ist allen Arbeiten eigen und der Kontrast des lichtschluckenden Schwarztones des Hintergrundes und dem farbenfrohen Leuchten der Motive vermittelt eine Grundstimmung zwischen Melancholie und Zuversicht.
Die Arbeiten sind aus verschiedenen Kopien ein und desselben Motivs zusammengesetzt, Andrea Esswein löst dabei immer die Bildteile heraus, die für sie interessant sind und setzt ihr Motiv wieder neu zusammen. Dabei kommt es auch zu Verschiebungen und Überlappungen, die im Bild bewusste Brüche und Kanten setzen. Aus vielen Kopien entsteht ein einzelnes Bild, es ist kein genaues Abbild der Realität, es ist eine Neuschöpfung, ein gestaltetes Abbild wie es eben auch sein könnte: eine reale Fiktion. Das ermöglicht dann eben auch Darstellungen von Objekten und Personen, die in Gänze niemals zu fotokopieren wären. Dieses Prinzip aus Dekonstruktion und Zusammenführung ist schon aus dem beginnenden 20. Jahrhundert bekannt, Otto Grautoff beschrieb es in seiner Schrift „Formzertrümmerung und Formaufbau“ mit martialisch-expressionistischer Ausdruckskraft. Es ist ein kubistisches Gestaltungsmittel, das Gegenstände, Pflanzen und Lebewesen in seine charakteristischen Bestandteile zerlegt und auch den Raum bzw. den Umraum neu ordnet und aufbaut. Dabei kommt die flächenhafte Abbildung des Fotokopiergeräts diesem Gestaltungsmittel entgegen, wenngleich die Arbeiten von Andrea Esswein alles andere als flächig erscheinen.
Die Werke charakterisiert ein besonderes Raumempfinden, die grundsätzlich zweidimensionale Ausrichtung der Kopien wird in den Kopigraphien aufgelöst. Das Zusammensetzen aus Einzelteilen, der obskure lichtschluckende schwarze Hintergrund und die Oberflächenversiegelung mittels Kunstharzschicht verdichten den Raum um das Motiv. Die Bildwirkung ist von beeindruckender Strahlkraft. Aus sich selbst heraus leuchtend wirken die Blüten und Pflanzen gleichsam entrückt und aus jedem Gesamtzusammenhang herausgelöst. Es ist eine Konzentration auf das Wesentliche, nichts lenkt ab, alles ist auf das eigentliche Motiv ausgerichtet und inszeniert es auf seiner Bühne.
Das Licht in den Bildern, welches die Motive erhellt, ist zunächst einmal das Licht des Fotokopierers. Feinste Strukturen werden noch abgebildet und ein altmeisterlicher Bildeindruck entsteht, der sich aus dem dunklen Hintergrund und der obersten Bildschicht ergibt. Diese besteht aus einer Kunstharzschicht, die in bis zu 8 Schichten aufgetragen wird und die durch den oft sichtbaren Pinselstrich das fotokopierte Bild als gemaltes erscheinen lässt. Je nach Motiv entscheidet Esswein, ob diese in matt oder glänzend aufgetragen wird. Von Weitem betrachtet verschmelzen die einzelnen Ausschnitte aus denen das Bild aufgebaut ist zu einem harmonischen Ganzen. Aus der Nähe betrachtet wird dieses Ausschnitthafte eher betont, ganz so wie wir Dinge aus der Nähe gesehen über ihre Details erfassen und zu einem Ganzen zusammensehen. Bei Andrea Esswein wird diese Form des Sehens dann aber eher zu einem Erlebnis, einem einfühlsam gestalteten Sinneseindruck.
Theuer + Scherr, Friedrichsplatz 19, 68161 Mannheim
Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr