new religion
Das vermeintliche Verschwinden der christlichen Bildsprache
Die Geburtsstunde der christlichen Kunst und der Ausformung einer universellen, christlichen Bildsprache liegt im frühen Mittelalter, als im zweiten Konzil von Nicäa 787 n. Chr. die Bilderverehrung ausdrücklich gestattet worden war. Darstellungswürdige Themen wurden festgelegt. Im Zentrum der christlichen Ikonographie stand das Leben Jesu – von der Geburt bis zur Kreuzigung und Auferstehung. So etablierten sich immer wiederkehrende Bildmotive mit Darstellungen von Christus, Maria, Engel, Heilige – wie auch Symbole für diese. Die christliche Ikonographie fand ihren Höhepunkt in der italienischen und deutschen Renaissance. Da Vincis Abendmahl, Raffaels Sixtinische Madonna oder Dürers Betende Hände sind bis heute in ihrer Bildsprache überliefert und verstanden. Und das obwohl seit dem späten 18. Jahrhundert, als sich Künstler von kirchlichen und fürstlichen Auftraggebern und auch den Akademien lösten und selbst über ihre Bildinhalte entschieden, religiöse Kunst zunehmend an Bedeutung und Wichtigkeit verlor. Mit der Trennung von Staat und Kirche und der Aufhebung vieler Klöster, Abteien und Stifte erfuhr christliche Kunst eine gesellschaftspolitische Entwertung und verlor ihre bis dahin klar definierte Funktion, Vehikel und Sprachrohr einer christlichen Weltordnung zu sein. Mit der Abwendung vom Religiösen und der Hinwendung zum Weltlichen, musste Religiosität und auch die christliche Kunst einer anderen Bestimmung folgen.
Verschwunden um„wiedergeboren“ zu werden
Spätestens mit dem Beginn der modernen Kunst verschwindet die christliche Ikonographie zumindest im klerikalen Kontext. In der westlichen Kunst hatte sie keine Relevanz mehr, dennoch bleibt das Motivverständnis erhalten. Ob es das Verdienst der Renaissance-Maler war, der Seefahrer zu James Cook-Zeiten, die erste Tätowierungen auch mit christlichen Motiven wie Kreuz, Engel oder flammendes Herz von ihren Reisen mitbrachten oder einer modernen Industriegesellschaft, die sich zahlreiche christliche Motive zu Merchandisingzwecken aneigneten, muss an anderer Stelle geklärt werden. Auffällig bleibt: Motive wie Madonnen, Gekreuzigte, geflügelte Engel oder flammende Herzen wurden im Laufe der Zeit auf piktogrammhafte Bilder reduziert, denen es noch immer gelingt, von der menschlichen Sehnsucht nach einer kraftvollen himmlischen Macht zu erzählen. Diese Motivkunst scheint gerade in den vergangenen zehn Jahren zunehmend wieder an Beliebtheit zu gewinnen. Religion wird seit den Anschlägen in New York 2001 und in Europa spätestens seit dem Syrienkrieg und der Flüchtlingskrise verstärkt als Bestandteil kultureller und nationaler Identität verstanden. Und obwohl die meisten Künstler der Moderne, Religion lange als Privatsache behandelt wissen wollten, gewinnt sie in den letzten zehn Jahren in der Kunst wieder an Relevanz. Angesichts der politischen Lagen weltweit, in der religiöse Haltungen zunehmend die Politik beeinflussen liegt es nahe, dass sich auch Kunst wieder verstärkt mit religiösen Inhalten auseinandersetzt.
Ja zur Aufklärung
Weil Religion wieder zunehmend Einfluss nimmt auf Politik und Gesellschaft, funktioniert auch die Ausstellung „new religion“ in der Mannheimer Galerie Kasten. Kasten versammelt in seinen Räumen an die 30 amerikanische und britische Künstler, die dem Ausstellungstitel mit ausdruckstarken Siebdruckarbeiten ihren Stempel aufdrücken. Der Ausstellungstitel ironisiert wohl sicher den wissenschaftlichen Begriff der NEW RELIGION, der eigentlich Religions-neubildungen im 19. und 20. Jahrhundert meint. Denn da entwickelten sich neue religiöse Gruppierungen wie Zeugen Jehovas, Mormonen, Bhagwans und viele andere, deren Glauben wie ein spirituelles Heilmittel die Gesellschaften flutete.
Kastens Auswahl vereint Künstler, die bekannte religiöse Symbole in komplett andere Kontexte setzt. Man sieht sowohl karikierende und heitere, wie auch rebellische und kritische Motiv-findungen. Damit setzt die Ausstellung unwillkürlich den weltweit zunehmenden religiös-politischen Tendenzen etwas Starkes entgegen und macht sichtbar, dass emotional geprägte religiöse Haltungen hoffnungslos mit dem menschlichen Bedürfnis verbunden sind, eine große, überirdische Macht ordne weise und selbstlos unsere Welt.
Ausstellung new religion: 16.09. bis 23.12.2016
Galerie Kasten
Werder Straße 18
68165 Mannheim
www.signedprints.de
Öffnungszeiten: Do-Fr 14:00-19:00 Uhr, Sa 12:00-15:00 Uhr und nach Vereinbarung