Bildhauerinnen. Von Kollwitz bis Genzken, Kunsthalle Vogelmann Heilbronn

Ein Jahrhundert Plastik und Skulptur von Frauen

bis 7.4.2019

Mit einer Premiere kann die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn derzeit glänzen. In Zusammenarbeit mit dem Gerhard-Marcks-Haus und den Museen Böttcherstraße in Bremen rückt sie das bildhauerische Schaffen von Künstlerinnen dreier Generationen in den Blick. Dabei greift sie auf die Geschlechterrollenthematik der vorausgehenden Ausstellung „Halb Frau, halb Künstlerin“ zurück, in der die Malerinnen Käte Schaller-Härlin und Mathilde Vollmoeller-Purrmann wieder einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Frauen hatten es um 1900 schwer sich als Künstler zu etablieren. Ihnen dachte man eine andere Rolle zu, das kreative Gestalten und die körperlich schwere Arbeit des Bildhauerns waren zur damaligen Zeit fast ausschließlich eine männliche Domäne.

Blick in die Ausstellung, Erdgeschoss

„Man fühlt den weichen, nachzeichnenden Druck dieser Frauenhand, die über das Modell hinaus nach geistiger Intensivierung strebt.“ (Georg Biermann über Renée Sintenis, 1930)

Die Ausstellung „Bildhauerinnen. Von Kollwitz bis Genzken“ schließt eine viel zu lange schwelende Leerstelle und zeigt dabei klar auf, wie qualitätsvoll und wie sinnlich der weibliche Blick auf die Bildhauerei sein kann. Die Schau beschränkt sich auf deutschsprachige Künstlerinnen und sie strukturiert die Materialfülle durch die drei Ebenen der Ausstellungsräume. Im Erdgeschoss finden sich die ‚großen Namen‘ des beginnden 20. Jahrhunderts: Käthe Kollwitz, Milly Steger, Renée Sintenis, Emy Roeder und Clara Rilke-Westhoff. Sie finden sich auch in den großen Überblickswerken zur Plastik des 20. Jahrhunderts, wenn auch teilweise nur als schmückendes Beiwerk bzw. als Randnotiz.

Der Einstieg in die Ausstellung ist furios, er schlägt den Bogen über den Neoklassizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts zum Expressionismus und neusachlichen Realismus als führende avantgardistische Kunstrichtungen der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum. Prototypisch spiegelt sich dies in den ausgewählten Werken wider. Drehungen, Längungen und Torsierungen und der geistige Gehalt der Werke verorten die Werke in der stilgeschichtlichen Avantgarde und die bohèmehaft-mondän-androgynen Auftritte von Milly Steger und Renée Sintenis taten ein übriges, um im „Wettkampf der Geschlechter“ ein Zeichen zu setzen. Ein unbekannter Kritiker schrieb in den 30er Jahren über Milly Steger: „…die Grenzen des Frauseins aufheben…“ Vorherrschendes Material ist die Bronze, aber auch Stein und Holz werden für die Werke und für deren Wirkung eingesetzt. Das skulpturale Arbeiten mit diesen Materialien war besonders anstrengend und hart, da es galt, mit vollem körperlichem Einsatz zu arbeiten.

Im ersten Stock präsentiert die Ausstellung die Nachkriegsgeneration, die in den 50er bis 70er Jahren bildhauerisch tätig waren. Thematisch ist das Menschenbild immer noch präsent, es wird aber in weicheren, gerundeten Formen stark abstrahierend und oft blockhaft gestaltet. Der Torso als Synonym für Verwundung und seelisches Befinden hat dabei einen großen Stellenwert. Gleichbedeutend rückt das ungegenständliche Gestalten in den Fokus. Es ist eine bewußte Abkehr von der Tradition und dem propagandistischen Diktat nationalsozialistischer Kunstgesinnung. Hiervon wollte man sich klar absetzen, jegliche Nähe und mögliche Verbindung galt es zu kappen und der Gang ins Ungegenständliche war ein bevorzugter Weg in der Plastik wie in der Malerei. Das Gestische, das Spontane und das Offene waren Eckpunkte eines neuen künstlerischen Verständnisses und dies greifen auch die Bildhauerinnen mit ihren skulpturalen Gestaltungsprinzipien auf.

Ganz oben im zweiten Stock erwartet den Besucher die dritte Generation der Bildhauerinnen. Inzwischen sind mehr Künstlerinnen besser im Kunstgeschehen vertreten, wenngleich immer noch der Mann an seiner Rolle als Alphatier des Kunstbetriebs zwanghaft klammert. Es ist bei der dritten Generation ein ausschnitthafter Rundumblick innerhalb der zeitgenössischen Kunst, die Arbeiten sind eher konzeptuell und installativ angelegt. Der Mensch selbst wird eigentlich nicht mehr dargestellt, sein Lebensraum, seine Lebenszusammenhänge und sein Umfeld rücken ins Blickfeld, wie etwa in Rebecca Horns Federkleid oder Inge Mahns Hundehütten. Der menschliche Leib wird somit unsichtbar, seine Spuren hinterlässt er aber immer noch und ihnen spüren die Bildhauerinnen nach, mit einem entwaffnenden, sensibel-gestalterischem Blick auf bzw. hinter die Dinge des täglichen Seins.

Der Ende Januar erschienene, zweisprachig gestaltete Katalog zur Ausstellung leistet Grundlagenarbeit und hat das Potential zum Standardwerk. Im ersten Teil werden zunächst die ausgestellten Arbeiten besprochen, im zweiten Teil findet dann eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des Themas statt. Lange hat es gedauert, sehr lange, aber der Stein kommt schließlich doch noch ins Rollen.

www.museen.heilbronn.de/kunsthalle

Kunsthalle Vogelmann, Allee 28, 74072 Heilbronn

Di-So 11-17 Uhr, Do 11-19 Uhr

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