Michael Volkmer. Die graue Passion, KV Westpfalz Kaiserslautern

bis 20.9.2020

Wer Arbeiten von Michael Volkmer kennt, kennt auch RAL1015. RAL-Farben sind normierte Farben, die von der RAL GmbH erstellt und verwaltet werden. Jahrelang war RAL1015- hellelfenbein – seine bevorzugte Farbe und dann das…grau, genauer gesagt eine Graue Passion. Ausgestellt wird diese im KunstRaum des Kunstvereins Westpfalz in Kaiserslautern.

Blick in die Ausstellung

Die Staatsgalerie in Stuttgart besitzt 12 Tafeln von Hans Holbein d.Ä., die alle zwischen 1494 und 1500 gemalt worden sind. Der Titel des Zyklus lautet „Die graue Passion“ und bezieht sich auf den Leidensweg Jesu Christi. In genau festgelegten Stationen wird der Leidensweg in Grisaille-Malerei nachgezeichnet. Verwendet werden nur die Nichtfarben weiss-grau-schwarz. Grisaille leitet sich von dem französischen Wort gris-grau ab und beschreibt die Malerei in eintonigen Farben oder besser gesagt  Nichtfarben. Holbeins Passion ist nicht das Vorbild für Volkmer, aber es ist ein kunsthistorischer Bezugspunkt, ein Zitat, ein inhaltlicher Aspekt, der sich mit seiner Passion verbindet. Die Grisaille-Malerei wurde oft eingesetzt, um gemalte Figuren auf Altarbildern wie Skulpturen wirken zu lassen. Eine Art Augentäuschung also, die sicherlich ganz nach dem Geschmack von Michael Volkmer ist.

Seine Passion umfasst eine Reihe von Arbeiten, die in einem grauen Farbton lackiert sind. Es ist ein Grauton, der je nach Lichteinfall grüne oder beigefarbene Anteile beinhaltet. Dieser Farbton ist ursprünglich nicht für eine Wandfarbe gedacht, er ist als Farbton einer Grundierung entstanden. Herkömmliche Grautöne empfand Volkmer als zu schön, zu harmonisch und somit als unpassend für seine Werke. Was ihn beim Umschreiben des Farbtons einfällt, fasst er in einem Halbsatz zusammen: „Irgendwie schmutzig!“ Es ist ein matter Farbton, dessen Oberflächencharakter samtig ist und Volkmer an die Oberfläche von Steinen erinnert. Zum ersten Mal arbeitete Michael Volkmer 2014 mit dieser Farbe, als er Lampensockel damit besprühte. Dieser graue Farbton hob die skulpturalen Qualitäten dieser Sockel besser hervor, als dies mit hellelfenbein gelungen wäre. Nicht alles kann in RAL1015 gemacht werden, also kam es zu einem Wechsel in der Farbgebung, die für den Künstler auch ein kleiner Befreiungsakt war. Grundsätzlich wird RAL1015 – also hellelfenbein – als eine traditionelle und eher langweilige Farbe wahrgenommen, die z.B. in Krankenhäusern oder in der Farbe von Taxis ihre Anwendung findet. Der Wandel der Farben vollzog sich an einem bestimmten Punkt, nämlich dem, als die Farbe zu einer Art Markenzeichen für Michael Volkmer wurde. Die Festlegung als prototypische Farbe von Michael Volkmer schrie nach einer Veränderung und dieser stumme Schrei hallt in den Werken der Grauen Passion nach. Laut ist eben nichts bei Volkmer, dafür aber subtil und deutungsoffen.

Vierpass

Als der Künstler die Ausstellungsräume des KV Westpfalz sah, war ihm sofort klar, dass er hier seine Graue Passion ausstellen möchte. Der KunstRaum hat also die Entscheidung getroffen, welche Werke ausgestellt werden. Wie diese präsentiert werden, ist eben auch der Pandemie-Situation geschuldet. Die entscheidenden Schlagworte Abstand-Isolation-Trennung begegnen uns im Ausstellungskontext wieder. Die Raumsituation mit den unfertig renovierten Wänden, bleibt wie sie ist und passt zu der Gesamtsituation. Den ersten Eindruck gewinnen wir von außen, der Blick durch die spiegelnden Scheiben ins Innere ist die erste visuelle Kontaktaufnahme. Wichtige Ausstellungsstücke sind die Kuppel und das Gehäuse #1. Die Kuppel nimmt den zentralen Platz im Ausstellungsraum ein. Sie ist mit ihren 16 Segmenten der Kuppel vom Petersdom in Rom nachempfunden und konfrontiert den Betrachter mit einer ungewöhnlichen Perspektive. Sie steht am Boden, man kann um sie herum gehen aber sie gewährt keinen Blick ins Innere. Sie ist ganz auf sich selbst bezogen, verschlossen und undurchsichtig, dafür kann man ihr auf Augenhöhe begegnen und sie sehr schnell umrunden. Ihre Abgeschlossenheit und ihr schmuckloses Dasein wird von der grauen Farbe betont, hier lenkt nichts ab, hier beschränkt sich alles auf die Form und die daraus entstehende Wirkung.

Kuppel (Ausschnitt), Handstudien (hinten an der Wand)

Es gibt bei Michael Volkmer immer eine Offenheit in der Deutung, das Kunstwerk legt sich nicht auf eine bestimmte Antwort fest. Wenn wir Dinge verstehen wollen, dann suchen wir nach einer Antwort oder einer Erklärung. Finden wir das nicht, dann werfen wir Fragen auf, in der Hoffnung, diese beantwortet zu bekommen. Aber wie soll es einem Kunstwerk gelingen, eine Antwort auf alle Fragen zu geben, die an es gerichtet werden? Oder, wie eindimensional müßte eigentlich ein Kunstwerk sein, dem ebendies gelänge? Vielschichtigkeit, Offenheit und Neugier, sind alles Begriffe, die man bei der Deutung von Volkmers Werken an- oder verwendet, je nach Standpunkt und Zugang. Direkt am Fenster des KunstRaums sehen wir das Gehäuse #1, die Fensterscheibe trennt den Betrachter zunächst von allen Objekten der Ausstellung, sie isoliert die Werke und hält auf Abstand. Worum handelt es sich beim Gehäuse #1? Mehrere Öffnungen geben den Blick auf Körperteile frei, es sieht also so aus, dass es ein Gehäuse für eine Figur ist. Aber das Gehäuse liegt nicht, es steht aufrecht im Schaufenster. In früheren Ausstellungen war die Figur gerade noch schemenhaft zu erkennen, hier ist sie hinterleuchtet und ist in den Ausschnittöffnungen deutlich zu sehen. Aber welchen Zweck erfüllt das Gehäuse, soll es ein Sarkophag sein, eine Art Schneewittchensarg, eine Kryostasekammer für den Kälteschlaf wie er bei interstellaren Reisen Verwendung findet oder vielleicht ein Modell eines MRT zum Diagnosescan für Krankheiten oder Verletzungen?

Darauf gibt es keine genaue Antwort, es kann etwas von den genannten Vorschlägen sein oder auch etwas ganz anderes. Es ist nicht der entscheidende Punkt, was genau es ist? Michael Volkmer gibt nichts vor, er lässt vielmehr zu und befördert dies auch, die Offenheit lässt jedem seinen Spielraum der Interpretation. Auch die Verwendung des Materials wirft oft Fragen auf und verleitet zu Spekulationen. Michael Volkmers Kästen, Sockel und Gehäuse werden von ihm selbst gefertigt und bestehen aus mitteldichter Faserplatte, besser bekannt unter der Abkürzung MDF. Das Abrunden der Ecken und Kanten lässt das Auge nirgends ruhen, die weichen Übergänge lenken den Blick auf das Wesentliche, wie etwa auf eine lackierte Radzierblende, die in diesem Kontext eher gotisches Maßwerk ist als ein Artikel aus einem Zubehörteilkatalog. Volkmer spricht dabei von einer Art Verschleierung, die ursprüngliche Funktion verliert ihre Bedeutung, der neue Kontext erhebt den Gegenstand zum Kunstwerk. Das Sammeln und Verwenden von Alltagsgegenständen spielt dabei eine große Rolle, durch die Einbindung in die Kunst überführt Volkmer ihren funktionalen Charakter in einen ästhetisch-gestalterischen und lässt die verschiedensten Deutungen ganz bewusst zu.

Die Ursprünge von Volkmers Kunst liegen in seinem Interesse für die Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Wiedergeburt ist ein treffender Begriff in Bezug auf seine Werke, die Überführung in einen anderen Kontext sind für die Alltagsgegenstände eine Art Wiedergeburt. Nach der Begegnung mit Volkmer entsagen und widerrufen sie ihrem ursprünglichen Nutzen und beginnen ein neues Leben: das als Kunstwerk. Ein radikaler Schnitt – keine Frage – aber ein ebenso sinnlicher wie lohnenswerter.

www.michael-volkmer.de

KunstRaum, Pirmasenser Str. 6, 67655 Kaiserslautern

www.kunstraum-westpfalz.de

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